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Gerlinde Wurth (1933 - 2025)

 

Gerlinde Wurth

 

1933 in Wien geboren,

2025 gestorben

 

Den künstlerischen Nachlass verwaltet

Galerie Kopriva Krems

www.kopriva-kunst.com/wurth 

 

 

Abbildung: 

Skärgarden, 1960 / 61, Ölkreide auf Papier, 50 x 70 cm

 

Abbildung Beitragsbild:

 XII 1978, Tusche auf Papier, 29,4 x 21 cm

 

In den Gesprächen war Gerlinde Wurth besonders wichtig zu betonen, dass sie in Breitensee - einem kleinen Gebiet in Wien – aufwuchs und dort der große Nussbaum im Innenhof und die Kegelbahn mit ihren offenen Arkaden als Treffpunkt der Nachbarschaft, Familie und Freunde ihre frühen Kindheitserinnerungen prägten und in den Jahren des Krieges, sie die Angst mit dem Gedanken an diesen Ort des Friedens, zu verscheuchen versuchte.

 

Natürlich malte sie als Kind sehr gerne, doch Künstlerin wollte sie auf keinen Fall werden. Sie begann eine Bürolehre beim Klavierfabrikanten Hoffmann & Cerny und ahnte damals noch nicht, welchen Einfluss dieser Beruf auf ihr späteres ästhetische Empfinden und ihre Liebe zur modernen Musik bekommen sollte: Ihr Arbeitsplatz befand sich unterhalb jenes Raumes, der für das Stimmen der Klaviere verwendet wurde. Sie liebte das monotone Anschlagen der Tasten und des damit entstehenden gleichförmigen Rhythmus.

 

Da sie immer noch gerne malte, belegte sie in der künstlerischen Volkshochschule zunächst kurz einen Kurs für Bildhauerei und später intensiver, auch einen für Aktzeichnen. Als Paul Meissner, der Kursleiter der Aktklasse, ihr die Malerei mit Kunstharz lernte, merkte sie, wie wichtig ihr die Kunst als Ausdrucksmittel geworden ist und Farbe in abstrakten Kompositionen ihr Inneres nach Außen kehrte. Sie besann sich auch auf ihre Kindheitserinnerungen, als sie gemeinsam mit ihrem gleichaltrigen Cousin Walter Loub (später Mikrobiologe) im Mikroskop Algen betrachtete und sich die einzelnen Zellen herauskristallisierten. Die Form dieser Zelle übersetzte sie nun in Farben und ließ sie in Farbengebilde abstrahieren.

 

Nach einem Sommeraufenthalt 1960, übersiedelte sie 1961 für die nächsten Jahren nach Schweden und begann im Büro eines Restaurants zu arbeiten. In diesen Jahren entstanden vor allem zahlreiche naturalistische Tuschezeichnungen und starkfarbige, auf wesentliche Elemente der nordischen Landschaft reduzierte, Werke. Besonders häufig finden sich Motive des rund um und vor Stockholm gelegene „Skärgarden“ mit seinen fast 30.000 Inseln.

 

In Schweden begann auch Gerlinde Wurths künstlerische Laufbahn, als sie mit einer Mappe in der Hand, in die Gallerie Brinken zu Anna Sjörgren ging und die erste Einzelausstellung schon 1961 folgte. 1964 kehrte Gerlinde Wurth zwar nach Wien zurück, verbrachte aber bis 1973  ihre Sommerurlaube in Schweden.

Zu dieser Zeit war in Wien die Kunstszene mehr als überschaubar. Nur wenige Galerien bestritten ein Programm und es gab kaum Möglichkeiten seine Kunst irgendwo anders auszustellen. In der von Robert Schmitt geleiteten Galerie Autodidakt hatten aber auch Künstler ohne akademische Vorbildung die Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. 1967 widmete die Galerie erstmals Gerlinde Wurths „Zellenbilder“ eine Ausstellung.

 

In diesem Jahr übersiedelte die Künstlerin in ein Haus in Langenzersdorf in Niederösterreich und experimentierte weiter mit verschiedenen Techniken und Ausdrucksmöglichkeiten. Kurzzeitig kehrte sie  zur naturalistischeren Darstellung zurück, als sie sich zwischen 1972 und 1974 mit den Malern Karl Anton Fleck, Hans Skribanek, Wilfried Zimmermann und Hans Reiter zum gemeinsamen Aktzeichnen und Arbeiten in der Landschaft rund um Wien traf. Demnach war neben den skizzierten Landschaftsaufnahmen vor allem die Form des menschlichen Körpers bestimmend für die weiteren Werke. In ihren sogenannten „Erdäpfelakten“ abstrahierte sie die Formen oft bis zur Unkenntlichkeit, jedoch finden sich auch sehr sensible, zurückhaltende Aufnahmen. Auch schon wie bei ihren „Zellenbildern“ hatte sie eine Grundform gefunden, an der sie arbeiten konnte.

 

Die Beschaffenheit der verschiedensten Materialien interessierte sie schon seit längerem. Bereits in ihren Kunstharzbildern verband sie immer wieder Kieselsteine mit Farbe und veränderte damit die Struktur. Mitte der 70er Jahre intensivierte sie aber diese Beschäftigung und sie wandte sich dazu, auf Platten oder Papierblätter die verschiedensten Materialen wie Stoffe, Steine oder Sand zu kleben. Die Abkehr von starkfarbigen zu meist in dunklen Tönen oder feinen Nuancen von Schwarz gehaltenen Bildern war vollzogen. Die Farbe war nicht länger mehr das Ausdrucksmittel, sondern sie schaffte nur mehr die Basis für die feinen Strukturen der Materialen. Auch umwickelte sie Steine, Stühle oder Obstkisten mit Schnüren und Seilen und bemalte sie. Immer wieder taucht das Kreuz in diesen Arbeiten auf. Jedoch ist es - anders als bei vielen anderen Künstlern - nicht religiös besetzt: Es ist die gleichmäßige Form, die sie interessierte. 

Die Freundschaft zur Künstlerin und Galeristin Christa Hauer war schließlich entscheidend für Gerlinde Wurth: Christa Hauer und Angelika Kaufmann wollten die Situation der weiblichen Künstlerinnen verbessern und luden 1976 zu einem Pressegespräch in die Modern Art Galerie von Grita Insam. 1977 erfolgte dort schließlich die Gründung der IntAkt (Internationele Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen).

 

Einschneidend war abermals ein Umzug: 1978 stand fest, dass ihr Haus in Langenzersdorf dem Straßenbau weichen musste. Bis sie in ihre Wohnung in Wien im Mai 1979 übersiedeln konnte, musste sie alles packen und ihre Malmittel in Kisten verstauen. Nur mehr Papier und wenig Zeichenmittel waren rasch verfügbar. Es hatte sie beeindruckt, wie der befreundete Bildhauer Zbynek Sekal für einen Altar für Vorarlberg einen Kupfernagel nach dem anderen, seriell nebeneinander in das Blech getrieben hatte und ähnlich wie in der Zeit des Klavierstimmens oberhalb ihres Arbeitsplatzes, war es wieder der monotone Rhythmus, der ihr gefiel. So begann sie einen Strich nach dem anderen auf das Papier zu setzen. Ähnlich wie zuvor mit den Materialen begann sie mit den aneinander gereihten Strichen Formen zu bilden. So füllte sie Blatt für Blatt der Skizzenblöcke oder loser Blätter.

 

Als sie schließlich im Mai 1979 in ihrer Wohnung in Wien einzog, fertigte sie nur mehr wenige kleinformatige Materialbilder an. Ab etwa 1980 blieb sie ausschließlich dem Papier und überwiegend dem Tuschstift verhaftet. Die Striche wurden in der ersten Hälfte der 80er Jahre von aneinander gereihten Kästchen abgelöst. Nur kurze Zeit hielt diese Phase an und sie ging über, nur mehr „Unendlichkeitspunkte“ auf das Blatt zu setzen. Erst 2011 kehrte der Strich wieder in ihr Werk zurück: Sei es durch Notenlinien als Hommagen an ihre Lieblingskomponisten oder in ihren Variationen „Strich-Punkt“ oder „Tellerbilder“.

 

Nach ihrer Ausstellung 1982 zog sich Gerlinde Wurth vom Kunstbetrieb völlig zurück und konnte erst 2003 von einem befreundeten Sammler überredet werden, wieder an einer Gruppenausstellung teilzunehmen.

 

Es ist schön, dass ihre feinen, nuancierten Werke voll stiller Poesie seither wieder öffentlich zu sehen sind.